Re: die Sache mit der Masse


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Geschrieben von Elmar aus Bielefeld am 19. September 2003 18:46:07:

Als Antwort auf: Re: die Sache mit der Masse geschrieben von Gabi am 17. September 2003 20:39:13:

Hallo Gabi,

>Wiedermal dasselbe Ding. Unsere Antworten hatten sich (fast) gekreuzt
>und wir haben uns (gegenseitig ?) übersehen.
>Also nun die späte Antwort.

Tut mir leid dass das so zerfleddert ... eigentlich muesste man das mal zusammenfassen, aber jetzt habe ich auch schon wieder oben geantwortet, ohne vorher zu bemerken dass hier auch noch was stand. Vielleicht kriegen wir ja auch das eine oder andere Nebenthema im Seitenstrang 'ausdiskutiert'.

Eigentlich ganz nett, dass es hier mal um die 'reine' Physik geht.

>>"Welche Argumente gab es denn für die physikalische Trennung von Masse und Gewicht ?"
>>Dass dem zwei grundverschiedene Phaenomene zugrunde liegen: das spontane Herunterfallen und die Kraft die man braucht um das zu Verhindern; und das Beharren in Rohe oder Bewegung und die Kraft die man braucht, um eine Aenderung zu bewirken.
>Das Beharren in Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung ist in der Physik ein Fall für die Statik.

Deshalb ja der Zusatz "...und die Kraft die man braucht, um eine Aenderung zu bewirken", das ist dann nicht mehr Statik.

>Wenn man es schaffen könnte, einen Kreisel/(Kreisäge?) so ruhig rotieren zu lassen, daß man seine Bewegung nicht mehr sieht, dann wäre auch die Statik zuständig ?

Grundsaetzlich nicht; es sei denn, man kuemmert sich nur um die aeusseren Freiheitsgrade, dann wohl! Zumindest solange bezueglich dieser Freiheitsgrade keine Kraefte wirken ("ruhig ... lassen"). Ein Atom mit einem Grundzustand mit F>0, vorgestellt ohne Wechselwirkung mit der Umgebung, waere in diesem Sinne ein Fall fuer die 'Statik' (auch wenn die Verwendung dieses Begriffes bezogen auf die Quantenmechanik etwas ungewohnt ist; aber in einem Fall in dem man den Hamiltonoperator in einen inneren und einen ausseren Teil aufteilen kann, und solche Eigenzustaende des aeusseren Teils existieren die gleichzeitig Eigenzustaende des Impulsoperators mit Eigenwert Null sind, kann man ganz analog zur klassischen Mechanik von 'Statik' sprechen.)

Wenn man sich um Teile des Kreisels und ihre gegenseitige Wechselwirkung kuemmert, kann andererseits von 'beharren' sowieso nicht mehr die Rede sein, da geht's ja eher turbulent zu.

>Wäre es nicht vorsichtshalber besser, den schlimmsten Fall anzunehmen, und die ständige innere Rotation mal 'theoretisch' durchzukauen ?
>Ist das schon Ketzerei ?
>Es würde ein neues Licht auf Trägheit und Schwerkraft werfen.

Daran ist gar nichts Ketzerei, schliesslich hat das Einstein in der ART auch gemacht; dadurch ist die Fragestellung als solche garantiert als 'etabliert' anzusehen. Die Theorie des rotierenden Schwarzen Loches ist ein typisches Anwendungsbeispiel, leider bin ich (in der schon mal erwaehnten Vorlesung) nur bis zum nicht-rotierenden, elektrisch neutralen schwarzen Loch gekommen.

>>Dass die Faehigkeit eines Koerpers zu dem einen und zu dem andern immer fest gekoppelt ist, und entsprechend die Kraft zum Verhindern des ersten und zum Bewirken des zweiten, das war vor Einstein immer nur 'Erfahrungstatsache', und erst in der ART als 'wesensgleich' erkannt.
>Tut mir leid, das mußt Du mir noch einmal aufdröseln. Meine Phantasie hat auch Grenzen.

Es gibt in der Newtonschen Physik keinen Grund, warum es beispielsweise eine einheitliche Erdbeschleunigung gibt. Genau so wie in einem elektrischen Feld Protonen und Elektronen ganz unterschiedlich stark beschleunigt werden, gar in entgegengesetzte Richtung, koennte das an sich auch im Schwerefeld der Fall sein (Dann muesste eben in der Newtonschen Gravitationsformel im M1M2/r^2 -Term was Anderes stehen als auf der anderen Seite bei m*a, genau wie im Coulomb-Gesetz).

Die klassische Mechanik koennte prima damit leben, wenn beispielsweise Materialien mit unterschiedlichem Protonen-Neutronen-Verhaeltnis ganz unterschiedliche Fallbeschleunigungen haetten. Nur beobachtet man solche Unterschiede eben einfach nicht. Wenn's die gaebe, dann haette man natuerlich keine scheinbare Schwerelosigkeit beim Parabelflug oder in der Erdumlaufbahn, weil dann jedes Material eine andere Flugbahn braeuchte. Umlaufhoehe und -geschwindigkeit muessten je nach Materialzusammensetzung eines Satelliten anders kombiniert werden, und im innern eines Raumschiffes wuerden mitgefuegrte Gegenstaende je nach Material scheinbar zur Erde hin oder von der Erde weg 'fallen'.

Die Newtonsche Physik bietet ueberhaupt keinen Anhaltspunkt zu verstehen, warum das aller Erfahrung nach nicht so ist (es gab sogar mal vor Jahren eine heisse Meldung, dass man einen solchen Unterschied im 10^-7 -Bereich oder so nachgewiesen haette, stellte sich aber nachher als Messfehler heraus). Nur diese Erfahrungstatsache fuehrt dazu, dass man in den klassischen Formeln meist einfach m schreibt und Masse sagt, aber mathematisch ist immer voellig eindeutig ob es sich um die 'schwere Masse' aus M1M2/r^2 oder die 'traege Masse' aus m*a handelt.

Die Idee von Einstein war nun, dass das eben wohl doch kein Zufall ist, dass die Mechanik im freien Fall die gleiche ist wie die in der 'echten' Schwerelosigkeit. Die Fallbeschleunigung an einem bestimmten Punkt ueber der Erde ist dann wirklich ein einheitlicher Wert und hat nichts mit der Art des Probekoerpers zu tun, mit der man sie ermitteln kann. Das fuehrt dann dazu, dass die Mechanik im Schwerefeld identisch wird mit der Mechanik in einem beschleunigten Bezugssystem.

Dadurch werden zwei bei Newton voellig verschiedene Dinge bei Einstein vom Prinzip her (natuerlich nicht in beliebigen Situationen von der Groesse her) dasselbe: Die Fliehkraft und die Schwerkraft.

Bei Newton war die Schwerkraft noch 'echt', und nur die 'nach aussen wirkende Fliehkraft' eine Scheinkraft aus der Perspektive eines beschleunigten (mitrotierenden) Beobachters, die er zur 'Erklaerung' der Bewegung eines nach aussen wegfliegenden Gegenstandes 'braucht', die eigentlich eine geradlinige, gleichfoermige, kraeftefreie ist.
Bei Einstein ist beides eine Scheinkraft, die ein nicht-frei-fallender Beobachter zur Erklaerung der beobachteten 'Spontanbeschleunigungen' von Objekten heranzieht. Letztlich ist die Interpretation der Schwerkraft als Scheinkraft wesentliche Voraussetzung dafuer, dass in der Relativitaetstheorie die Gravitation eine lokale Erscheinung ist (basierend auf der Kruemmung der Raumzeit) und so keine unverzoegert wirkende Anziehungskraft entfernter Massen mehr braucht, was mit den sonstigen Annahmen der RT kollidieren wuerde.

Wenn man jetzt die Situation betrachtet, in der ein Gegenstand jeweils mit einer aeusseren Kraft einmal auf einem Karussell auf eine Kreisbahn gezwungen, und ein andermal am Herunterfallen gehindert wird, so ergibt sich meine Aussage aus dem Vorposting:
Die Kraft die man braucht, um 1. einen Koerper am Herunterfallen zu hindern, und die Kraft die man braucht, um 2. eine Aenderung am Beharren des Koerpers in Ruhe oder Bewegung zu bewirken, hatten vor Einstein eigentlich nichts miteinander zu tun. Es war nur 'Erfahrungstatsache' dass zwei Koerper, die in Punkt 1 uebereinstimmen (gleiche 'schwere' Masse), auch in Punkt 2 uebereinstimmen (gleiche 'traege' Masse). In der Allgemeinen Relativitaetstheorie kann es gar nicht anders sein, da sind 'schwere' Masse und 'traege' Masse also 'wesensgleich'.

Das war jetzt so ausfuehrlich wie moeglich, ich hoffe du findest es nicht allzu umschweifend. Mir ist halt ueberhaupt nicht klar, was dir da unklar gewesen ist.

Ich wiederhole, eigentlich muesstest du das alles doch wissen, du HAST doch Physik studiert ...

Und erlaube mir einen frechen Zusatz: Bevor man diesen Zusammenhang nicht kennt, sollte man die Relativitaetstheorie auch nicht als "Eiertanz" verunglimpfen.

Natuerlich koennte es auch sein, dass sich deine folgende Aussage:
>Weil die nicht gestimmt haben können. Vielleicht kennst Du Neue ?
... jetzt auch auf meine Darstellung der bekannten Argumente bezieht, warum man vor Einstein 'schwere' und 'traege' Masse getrennt hat (und seit Einstein nicht mehr, aber da sind wir uns ja einig).

In dem Fall bitte ich dich um Erklaerung was da nicht stimmen soll.

>Und wenn Du nach dem experimentellen Nachweis fragst ...
Gratis. Ich bin ja auch der Ansicht, dass es keinen Unterschied zwischen 'schwerer' und 'traeger' Masse gibt, das wird ja auch in der etablierten Physik von Theorie UND Experiment gestuetzt.

Gruss, Elmar





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