Weinachtsäther - 1938


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Geschrieben von Leser am 21. Dezember 2004 12:12:25:

Es begab sich zu einer Zeit, als Quanten noch Flossen hatten und Quarks im Kühlschrank standen, da begannen auch schon die Herren der naturwissenschaftlichen Zunft über das was Sie sehen und das was sie ahnen zu referieren. Hier nun zur Weinachtszeit und vielleicht für das Archiv historscher Texte exclusiv im Zauberspiegel eine Einleitung:

(Bitte nur lesen wenn man das Wort "Äther" mag oder scheinbar historisches nicht verachtet!)

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Grimsehls Lehrbuch der Physik - Neubearbeitet von Professor Dr. R.Tomaschek
Dresder im Herbst 1938 - Erster Band - Mechanik - Wärmelehre - Akustik

Grimsehl-Tomaschek, Physik I. 10. Aufl. 1

Einleitung.

Aufgabe der Physik. Ihre Methode. Bilder der physikalischen
Vorgänge. Materie und Äther. Einteilung des Stoffes.

Physik bedeutete ursprünglich die Wissenschaft von der Natur überhaupt.
Seitdem man gelernt hatte, in der Natur zwischen Belebtem und Unbelebtem
zu unterscheiden, ist Physik in weitestem Sinne die Wissenschaft von der
unbelebten Natur geworden. Die Erforschung derselben, die systematische
Zusammenfassung der Erscheinungen, die Aufdeckung der Zusammenhänge und
die Zurückführung der komplizierteren Vorgänge auf einfache
Gesetzmäßigkeiten ist ihre Aufgabe. Die Physik geht prinzipiell quantitativ
vor, Gegenstand ihrer Forschung sind nur Dinge oder Vorgänge, die sich
messen lassen. Einige Teile der Physik haben sich zu besonderen Wissenschaften
entwickelt, wie z. B. die Chemie, welche die Physik der Atomgruppierungen ist,
oder die Astronomie, welche die physikalischen Vorgänge, soweit sie in
kosmischen Dimensionen verlaufen, behandelt. Die Abzweigung solcher Teile
ist meist dadurch begründet, daß sich in ihnen besondere, für den betreffenden
Sonderzweck besonders geeignete Methoden entwickeln.
Man kann bei der Erforschung einer physikalischen Tatsache drei Stufen
unterscheiden. Zunächst handelt es sich meist darum, die Erscheinung hervor-
zubringen, da sehr viele Erscheinungen in reiner Form oder in merklichem
Ausmaße nicht oder nur selten in der Natur vorkommen. Weiterhin muß die
Erscheinung beobachtet werden, d. h. ihr Verlauf muß festgestellt und auf
meßbare Größen zurückgeführt werden. Die dritte Stufe ist es, den Vorgang
zu verstehen. Es muß festgestellt werden, welche Bedingungen für sein
Zustandekommen wesentlich sind und welcher quantitative Zusammenhang unter
den Bedingungen vorhanden sein muß, um die Erscheinung in einer gewissen
quantitativen Form auftreten zu lassen. Wir verstehen eine Erscheinung, wenn
wir sämtliche Bedingungen, die zu ihrem Zustandekommen notwendig sind,
quantitativ kennen. Wir haben sie dann auf ihre einfacheren Bestandteile
zurückgeführt. Wenn wir eine Erscheinung verstanden haben, dann können
wir sie jederzeit quantitativ wieder hervorbringen, und wir können die An-
fangsbedingungen so wählen, daß der zukünftige Verlauf ein gewollter wird.
Das heißt, wir können den zukünftigen Verlaufeiner verstandenen Erscheinung
voraussagen. Dies ist der hervorragende praktische Wert, den die Physik besitzt.
Die Zurückführung der Erscheinungen der unbelebten Welt führt nun
auf gewisse einfachere Bestandteile, die selbst sich nicht mehr auf einfachere
zurückführen lassen. Es sind dies einesteils fundamentale Begriffe, die ge-
geben sind in der Struktur unseres erkennenden Geistes oder aber in der Art
unserer Naturbetrachtung, die ja durch unsere jahrtausendelangen Erfah-
rungen und auch durch mancherlei historische Zufälligkeiten geworden ist.
Zu den ersteren gehören etwa die Begriffe Raum und Zeit, zu den anderen
etwa die Begriffe Kraft, Masse, Temperatur. Andernteils sind es gewisse
Zusammenhänge, die wir (vielleicht derzeit) nicht in einfachere Bestandteile
zerlegen können. Solche Zusammenhänge nennt man Prinzipien. Aus diesen
einfachen Bestandteilen setzt sich nun das Bild des Physikers von der ihn
umgebenden Wirklichkeit zusammen. Aus diesen von ihm ausgesonderten und
ihm als menschlichem Geist gegebenen Elementen stellt er Bilder der physi-
kalischen Vorgänge auf, die, wie H. Hertz es ausgesprochen hat, so beschaffen
sein müssen, daß die denknotwendigen Folgen dieser Bilder stets wieder Bilder
sind von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände. Da-
durch ist eben der Naturforscher in der Lage, Zukünftiges vorauszusagen,
und das Eintreffen desselben ist wieder eine Prüfung der Bilder auf ihre Richtigkeit.
Die historische Betrachtung der Entwicklung der Physik zeigt, daß je
nach der menschlichen Eigenart des betreffenden Forschers zwei besondere
Richtungen bei der Aufstellung solcher Bilder feststellbar sind. Einerseits
können sie sich ganz darin erschöpfen, quantitative Beziehungen zwischen
beobachtbaren Größen zu sein. Sie sind in diesen Falle vollkommen darstell-
bar in Gestalt mathematischer Formeln. Diese Art wurde von Kirchhoff
die mathematische Beschreibung der Natur genannt, und es ist der Weg,
den er und viele andere große Forscher, wie Helmholtz u. a., bevorzugt
haben. Daneben gibt es aber eine große Zahl anderer und mindestens ebenso
erfolgreicher Geister, die eine zweite Art der Darstellung bei ihren Ent-
deckungen bevorzugen. Es ist die, sich die Vorgänge bildlich im Geiste als
Bewegungen, dynamische Zustände, vorzustellen. Diese Art der Bilder ge-
stattet nicht nur das mathematische Denkvermögen, sondern auch die geo-
metrische und dynamische Vorstellung zu verwerten. So gelangte Faraday
zu seinen Entdeckungen, auf denen das ganze Gebäude unserer heutigen Elek-
trizitätslehre ruht, dadurch, daß er sich anschauliche Bilder über die elek-
trischen und magnetischen Kräfte machte. „Die Kraftlinien standen vor seinem
geistigen Auge im Raume als Zustände desselben, als Spannungen, als Wirbel,
als Strömungen, als was auch immer — das vermochte er selbst nicht anzu-
geben —, aber da standen sie, beeinflußten einander, schoben und drängten
die Körper hin und her und breiteten sich aus, von Punkt zu Punkt einander
die Erregung mitteilend” (H. Hertz).

Auch bei der Übersetzung des Bildes Faradays in die Darstellung erster
Art durch Maxwell haben mechanische Modelle eine große Rolle gespielt.
Besonders beim Vordringen in unbekannte Gebiete, wo es sich um probe-
weise gemachte Bilder handelt, sind solche Bilder dynamischer Art stets von
außerordentlichem Wert gewesen. Man nennt solche probeweise Bilder dann
Arbeitshypothesen oder Hypothesen schlechthin. Ist ein Bild als richtig
erkannt worden, so bildet die Gesamtheit der sich aus diesem Bilde logisch
ergebenden, vor allem auch quantitativen Folgerungen eine Theorie.
Ein gutes Beispiel für die gleichzeitige Anwendung der zwei Arten von
Bildern gibt die Wärmelehre. Während die Thermodynamik, nur mit beob-
achtbaren Größen arbeitend, ein vollendetes Beispiel der Bilder erster Art
ist, gibt die mechanische Wärmetheorie unter dem Bilde der Bewegung der
Moleküle ein ebenso vollendetes und ebenso quantitativ durchgebildetes Bild
der zweiten Art. Eine Vergleichung der beiden Beschreibungsarten wird
jeden die Vor- und Nachteile dieser Darstellungsmethoden erkennen lassen,
je nach dem Zweck, zu dem er sie verwenden will, und je nach seiner Ver-
anlagung. Hierbei ist nicht zu leugnen, daß die eigentlichen Grenzen der
Theorie und die Bedeutung vieler Begriffe erst durch die anschauliche
Betrachtungsweise klar geworden sind. Das Bild, das wir uns heutzutage vom
Standpunkte der Bilder zweiter Art von der physikalischen Wirklichkeit
machen, weist einige Grundzüge auf, die im folgen den kurz dargelegt werden sollen.

Materie und Äther. Wenn wir die Erscheinungen, die uns umgeben, ge-
nauer untersuchen, so erkennen wir, daß sie teils an greifbare, wie wir sagen,
materielle Körper geknüpft sind, wie etwa Bewegung, Wärme, Schall, teils
von solchen unabhängig sind, wie gewisse Erscheinungen der Elektrizität und
des Lichtes. Alle greifbaren Körper lassen sich aus etwa 100 Grundstoffen,
den sog. chemischen Elementen, aufbauen, und alles, was aus diesen Grund-
stoffen besteht, wollen wir Materie nennen.
Außerdem muß es aber, wie die Erforschung der Naturerscheinungen
gezeigt hat, noch eine Grundsubstanz geben, die nicht die Eigenschaften der
Materie hat und die vor allem der Träger der elektromagnetischen Erschei-
nungen ist. Es ist der Äther1). Die uns umgebende Welt ist also aufgebaut
aus Materie und Äther. Beide sind Qualitäten verschiedener Art und ge-
horchen eigenen Gesetzen. Die historische Entwicklung der menschlichen Er-
fahrung hat es nun mit sich gebracht, daß die Kenntnis der Materie und das
auf Grund dieser stets betätigten Kenntnis entwickelte Gefühl für materielle
Erscheinungen viel weiter, ja fast ausschließlich sich entwickelt hat Und da-
her war man verleitet, die Erfahrungen und Begriffe, die an der Materie ge-
wonnen und gebildet waren, auf die Bilder vom Äther zu übertragen. Es hat sich
aber gezeigt, daß der Äther auf diese Weise nicht begreifbar, nicht widerspruchs-
frei abbildbar ist. Um ihn zu verstehen, sind ganz andere Begriffsbildungen
notwendig, die mit den an der Materie gewonnenen keine Ähnlichkeit haben. Nur
immer mehr und mehr ausgebreitete Erfahrung kann hier allmählich zum Aufbau
richtiger, d.h. widerspruchsfreier Bilder führen. Wir stehen heute erst ganz
im Anfang dieser Entwicklung, und die Erforschung dieses ungeheuren Ge-
bietes ist die lohnende Aufgabe und das glänzende Ziel der zukünftigen Physik.
Wir werden so zu einem Dualismus in unserem Weltbilde der unbelebten
Natur geführt. Und doch führt die immer mehr fortschreitende Erforschung
der Äthereigenschaften zu der Erkenntnis, daß im Grunde wahrscheinlich nur
eine Ursubstanz das unbelebte Weltall aufbaut, nämlich der Äther. Die
Materie wäre aber danach nur geformter Äther, ähnlich wie etwa Wolken,
die doch etwas ganz Reales sind, nur geformtes Wasser sind, ja sogar
nur ein geformter Vorgang in einem Wasserdampfstrom, oder wie Wirbel-
ringe in der Luft, die ein ganz bestimmtes und bemerkenswertes Verhalten
zeigen, nur geformte Luft sind. Für solche Formen gelten aber ganz andere
Gesetze — etwa für Wirbel —, als sie für ihr Substrat, ihren Träger, etwa
ruhende oder gleichmäßig strömende Luft gelten. Und wenn man nur Luft-
wirbel und ihr Verhalten kennen würde, wäre es wahrscheinlich schwierig,
eine einfache Begriffsbildung oder eine anschauliche Vorstellung für ruhige
Luft oder gleichmäßigen Wind zu bekommen. In dieser Lage befinden wir uns
aber gegenüber dem Äther. Die Erscheinungen des nicht als Materie geformten
Äthers — sie werden zum Teil z. B. durch die Maxwellsehen Gleichungen
der Elektrizitätslehre beschrieben — sind so verschieden von den der
Menschheit bis vor kurzem fast ausschließlich geläufigen der Materie, daß
eine voreilige Ubertragung derselben auf den Äther nur — wie es auch ge-
schehen ist — zu den allergrößten Schwierigkeiten führen kann. In diesem
Punkte versagt eben die Anschaubarkeit durch unsere Vorstellung, weil die
Vertrautheit mit den typischen Äthererscheinungen, ja überhaupt nur ihre
Kenntnis im menschlichen Geiste noch nicht genügend Wurzel gefaßt hat.
Wir dürfen aber, sofern wir überhaupt Wissenschaft treiben wollen, nicht
den Gedanken aufgeben, daß eben unser Geist, der doch selbst an Äthervor-
gänge geknüpft ist, auch die naturgegebene Möglichkeit hat, die Äthervor-
gänge, bei genügender Kenntnis derselben, zu begreifen.
Die Einteilung des Gegenstandes der Physik hat sich zunächst vollzogen
nach den Einwirkungen der Außenwelt auf unsere Sinnesorgane. Die genaue
Durchforschung der Erscheinungen hat aber Beziehungen entdeckt und Zurück-
führungen erlaubt, die gänzlich außerhalb dieser Zusammengehörigkeit stehen.
So ist heutzutage eine so spezifische Grundempfindung wie die Wärme auf
eine reine Bewegungserscheinung zurückgeführt. Das gleiche gilt vom Schall,
der eine ebenso vollkommen verschiedene Grundempfindung darstellt. In bei-
den Fällen handelt es sieh nur um verschiedene Arten der Bewegung ein
und derselben Grundsubstanz, der Materie.
Auf Grund dieser Erkenntnisse kann folgende Einteilung des Stoffes der
Physik vorgenommen werden. I. Die Beschreibung und Erforschung derjenigen
Gesetzmäßigkeiten, die auf der Wechselwirkung von Materie auf Materie bestehen.
Es ist dies das Gebiet der Mechanik und aller derjenigen Erscheinungen, die
sich rein mechanisch auffassen lassen, wie die Wärme, der Schall. Dieses Gebiet
soll zunächst den Gegenstand unserer Betrachtungen in diesem Bande bilden.
II. Die Beschreibung und Erforschung der Äthererscheinungen (heutzutage
bereits der wesentlich größere Teil der Physik) und ihrer Wechselwirkung mit
der Materie. Dies bildet den Gegenstand des II. Bandes, 1. und 2. Teil.

zu 1) Man hat die Substanz auch einfach „den Raum” oder „das Leere” ge-
nannt, um der sehr naheliegenden Gefahr zu entgehen, mit dem Begriffe der Substanz
(= Träger von Eigenschaften) auch unwillkürlich den Begriff materieller Substanz
(= Stoff) zu verbinden. Da wir aber glauben, durch obige Ausführungen der Gefahr
genügend vorgebeugt zu haben, wollen wir den Begriff Äther im folgenden benützen,
ohne an Ihm Irgendwelche materielle Vorstellungen zu knüpfen.





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