Chinas "Umweltwunder"


[ Zauberspiegel Wissenschaft Ideenfabrik ]


Geschrieben von Emil am 23. Februar 2006 18:29:45:

Die Werkbank der Welt verkommt zur Müllhalde
Die Sonne über Peking ist an diesem Tag mal wieder nur hinter einem Dunstschleier zu ahnen. Die Luft hängt voller Staub und Benzingeschmack.
Wer das Fenster öffnet, bekommt statt morgendlicher Frische eine Ladung Chemie ins Haus. Und zum Kaffeekochen darf man das Wasser aus dem Hahn nicht benutzen, es ist stark mit Schwermetallen belastet.

Chinas Umweltverschmutzung ist für mehr als eine Milliarde Menschen zur täglichen Lebensgefahr geworden. Ob Milch, Fisch oder Gemüse – alles ist mit Vorsicht zu genießen. Die Fische schwimmen in verseuchten Gewässern, die Kühe weiden auf vergifteten Wiesen, das Gemüse wächst auf überdüngten Feldern. „Chinas Umweltprobleme werden in 15 Jahren vier bis fünfmal schlimmer sein, wenn das Land seinen Energieverbrauch und die Verschmutzung weiter so fortsetzt“, warnt schon Zhang Jianyu von der Pekinger Tsinghua-Universität. Trübe Aussichten: Von den 20 Städten mit der größten Luftverschmutzung weltweit befinden sich bereits 16 in China.

Vor allem die Wasserversorgung wird im Reich der Mitte zum immer größeren Problem. Alle großen Flüsse sind vergiftet, von den 27 großen Seen nur zwei nicht völlig verseucht. Laut Weltbank haben 700 Millionen Chinesen keinen Zugang mehr zu sauberem Wasser – jeder zweite Bewohner im bevölkerungsreichsten Land der Welt.

Diese Woche wurden wieder 20 000 Menschen durch einen Chemieunfall von der Wasserversorgung abgeschnitten. Der Fluss Yuexi in der Provinz Sichuan war so verseucht, dass die Behörden die Versorgung für die Stadt Guanyin untersagten.

Es klingt paradox: Guanyin ist ein Fortschritt. Diesmal, so scheint es, wurden Behörden und Öffentlichkeit schnell informiert. Im November, als nach einem schweren Chemie-Unfall in Chinas Nordosten die Trinkwasser-Versorgung für Millionen Menschen unterbrochen wurde, verschwiegen Verursacher und Offizielle lange Zeit, dass Krebs erregende Substanzen in den Fluss gelangt waren. Viele Menschen tranken weiter die Giftbrühe. So wie seit Jahren schon die Bewohner im Dorf Huangmenying am Fluss Huai. Dort, in der Provinz Henan, müssen Tausende vom Wasser des Flusses leben, der zu den giftigsten in China gehört. Die Orte am Fluss sind als „Krebsdörfer“ bekannt geworden. „Huangmenying hat gut zweitausend Einwohner“, sagt Umweltaktivist Huo Daishan, „und über 150 Krebsfälle.“ Huo Daishan hat früher als Journalist über die Kehrseite des chinesischen Booms berichtet, bis ihn die Zensur gestoppt hat. Seit sieben Jahren dokumentiert er nun mit Kamera und Wasserproben das Sterben am Todesfluss.

Vor sieben Jahren, da hat auch Wang Yongchen ihren Kampf gegen Chinas Umweltsünden organisiert. Inzwischen wurde auch ihre Umwelt-Sendung eingestellt. Doch es ist der Verdienst der Journalistin, dass heute große Staudamm-Projekte stärker auf die ökologischen Folgen untersucht und öffentlich diskutiert werden.

„Wir sind nicht grundsätzlich gegen Dämme“, sagt Wang Yongchen, „aber wir wollen faire Entscheidungsprozesse.“ Das gab es bislang im Land der mächtigen Einheitspartei nicht. Megaprojekte wie etwa der Drei-Schluchten-Damm wurden durchgezogen, selbst wenn dafür Millionen von Menschen umgesiedelt werden mussten – und die Gefahr von Naturkatastrophen dramatisch stieg.

In der Provinz Yunnan jedoch, wo für ein neues Mega-Wasserkraftwerk ein Fluss mit 13 Dämmen gestaut werden soll, hatte ein Protest der Umweltschützer erstmals Erfolg: Der Eingriff in die Natur wurde von Premier Wen Jiabao ausgesetzt. „Ich habe über diese Nachricht geweint“, sagt Wang Yongchen.

Für Chinas Umweltaktivisten sitzt der Gegner nicht in Peking, sondern es sind meist lokale Manager und Provinzpolitiker. Während die Zentralregierung moderne Öko-Gesetze und grüne Energie auf den Weg bringt, bremsen – wie so oft – lokale Kader Chinas grüne Zukunft. Viele Millionen Euro für ein Abwasserprogramm in den Krebsdörfern seien im Lokalfilz versickert, sagt Huo Daishan: „Zwei Drittel aller Maßnahmen existieren nur auf dem Papier.“

Regionalpolitiker werden in China eben am Wirtschaftswachstum ihrer Provinz gemessen, nicht an ökologischen Kriterien, kritisieren Experten. Das könnte sich jedoch bald ändern. Peking plant ein grünes Sozialprodukt, will die Umweltkosten gegen das Wachstum aufrechnen. „Langfristig werden die Umweltschäden und Ressourcenverluste sämtliche Ergebnisse der wirtschaftlichen Entwicklungen aufheben“, sagt Vize-Umweltminister Pan Yue. Der smarte Politiker ist so etwas wie Chinas grüner Robin Hood – und das schlechte Gewissen der Nation.

Er genießt die Rückendeckung von Regierungschef Hu Jintao und Premier Wen. Denn die chinesische Führung will längst nicht mehr Wachstum um jeden Preis. Wasser- und Abfallgesetze wurden verschärft, ein Recycling-Gesetz nach deutschen Vorbild ist geplant. Das gerade in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz sieht Einspeisevergütungen und Abnahmegarantien für Öko-Strom vor. Auch der neue Fünf-Jahres-Plan hat deutlich grüne Züge.

Doch bisweilen klingen die Pläne zu utopisch. So will China seine Windkraftkapazität in den nächsten 15 Jahren um das Vierzigfache auf 30 Gigawatt erhöhen. „Diese Nachfrage können selbst alle Anlagenbauer der Welt zusammen nicht erfüllen“, sagt ein Manager eines deutschen Anbieters in China. Wind-Weltmeister Deutschland erreicht 17 Gigawatt aus Wind.

So bleibt Chinas ökologischer Wandel viel Zukunftsmusik und immer auch ein grüner Deckmantel. Zum Beispiel für die Tatsache, dass das Reich der Mitte weiter auf dreckige Kohlekraftwerke setzt. Mit 65 Prozent dominiert Kohle klar den Energiemix. Zwar gibt es Pläne, Chinas Kraftwerke mit sauberer Technik umzurüsten. Doch geredet wird darüber schon seit Jahren. Bislang haben höchsten fünf Prozent der Kraftwerke Entschwefelungsanlagen.

„Es ist illusorisch anzunehmen, dass diese Abhängigkeit von der Kohle in den nächsten Jahren merklich abnimmt“, sagt Eric Heymann, Experte der Deutschen Bank. Kohle ist der einzige Rohstoff, über den China auf Dauer in großen Mengen verfügt. Und bei Öl und Gas gibt es schon jetzt große Engpässe.

Neben der Verschmutzung belastet eine enorme Verschwendung das Land. Ob Wasser, Industriestrom oder Benzin – die Preise werden politisch festgelegt, also niedrig gehalten. Experten wie Heymann fordern „Preissignale“ für die knappen Güter.

Doch hier zaudert die Regierung, da sie den Ärger der Straße fürchtet. Energiesparen bleibt in China ein Fremdwort. Trotz Wassermangels lecken überall Rohre und Hähne, werden Felder und Parks bewässert. Die Landwirtschaft verbraucht allein zwei Drittel allen Wassers, im gesamten Riesenreich gab es vor kurzem nur 500 kommunale Klärwerke. Städte wie Peking und Schanghai erleben schon den Verkehrsinfarkt – dabei nimmt die Zahl der Autos noch rapide zu.

China droht von der Werkbank der Welt zur Müllhalde der Welt zu werden, fürchtet Öko-Politiker Pan Yue. Er sieht das Problem der Umweltverschmutzung als größten Test für die Kommunistische Partei. Viele Proteste entzünden sich bereits an Chinas massivem Umweltfrevel. Mehr Umweltbewusstsein, schärfere Gesetze und stärkere Behörden sind darum nur eine Sache. „Umweltschutz ist von öffentlichem Interesse“, sagt der Vize-Minister. Ein grünes China lasse sich nur mit mehr Demokratie schaffen. Auf dem Volkskongress, der kommende Woche in Peking tagt, soll ein Gesetzesentwurf diskutiert werden, der sowohl Anhörungen als auch Mitsprache der Bevölkerung bei Umweltprojekten vorsieht. Zunächst wird die Regelung aber nur in eine Testphase gehen, und die Sonne über Peking wird weiter vom Smog verhangen.







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