Tao ist nicht das Tao


[ Zauberspiegel Wissenschaft Ideenfabrik ]


Geschrieben von Emil am 17. Juni 2005 12:27:36:

Dschuang Dsi, was ist die Essenz des Tao?

Tao ist Gemuetsentwicklung und Lebenspraxis

Welchen Nutzen hat diese Art von Lebenspraxis?

Nutzen gibt es nicht

Nun dann, welche Motive treiben den Taoisten an?

Der Taoist wird nicht angetrieben

Sie meinen, er handelt ohne zu handeln.

Genau, der Ursprung des Tao liegt in weiter zeitlicher
Ferne, als es noch keinen dualen Verstand und kein Ego gab.

Hmm, Sie meinen, es gab nur Intuition oder Instinkt?

Ein Gedicht, das mir zugeschrieben wird, koennte Ihnen
weiterhelfen.

Ach ja, ich erinnere mich, es geht wie folgt:

Sie sind aufrecht und gerecht, ohne zu wissen,
dass solches Tun Rechtschaffenheit darstellt.

Sie lieben einander, ohne zu wissen,
dass solches Guete ist.

Sie sind ehrlich und wissen doch nicht,
dass solches Treue ist.

Sie halten ihre Versprechen, ohne zu wissen,
dass sie damit in Glaube und Vertrauen leben.

Sie stehen einander bei, ohne daran zu denken,
Geschenke zu vergeben oder zu empfangen.

So hinterlaest ihr Handeln keine Spur.


Ein Taoist weiss also nichts;

Zu behaupten, dass er nichts weiss, ginge zu weit.
Er ist auf alle Faelle kein Intellektueller.

Sie meinen, er verfuegt ueber etwas, das man als 'stilles Wissen'
im Sinn von Castanedas Don Juan bezeichnen koennte.

Ja, man koennte sagen, er selbst weiss nichts, aber das Tao
weiss.

Na ja, das ist eigentlich nichts Neues; heute spricht man halt von
Intelligenz als der Faehigkeit, sich spontan auf neue unbekannte
Situationen einzustellen und vernuenftig zu reagieren.

Das stimmt nicht ganz: der Taoist reagiert nicht.
Reaktion waere Unfreiheit oder Gebundenheit.
Durch Lebenserfahrung erworbenes Wissen stellt fuer
ihn kein Muster dar, das ihn bindet, sondern ist
Ausgangsmaterial fuer neue Erfahrungsmuster.

Ein Taoist ist also kreativ, ein Kuenstler?

Der Taoist ist sich selbst Gesetz.

Du meine Guete, das klingt ja richtig subversiv.

Die Struktur einer Gesellschaft wird seit Jahrtausenden
von einer kleinen Gruppe Maechtiger dirigiert, ganz gleich,
welche Staatsform.

Sie meinen, die Welt ist nichts weiter als ein Basar oder Laufrad?

Genau, die finanziellen Zusammenballungen praegen die
Gesellschaft. Der einzelne orientiert sich seit der
Kindheit an dieser Ordnung und filtert jede Erfahrung
aus, die mit den geltenden Spielregeln der Gesellschaft
nicht konform geht.

Darum sind wir heute unfaehig, die Wirklichkeit wahrzunehmen, wie
sie tatsaechlich ist.

Richtig, was wir fuer Wirklichkeit halten, sind Bruchteile
der Realitaet, Denkbilder, dazu noch verzerrt durch die Optik
unserer Voreingenommenheit. Dieser Mechanismus sorgt dafuer,
dass sich keinerlei neue Erkenntnisse durch Beobachtung bei
uns einschleichen. Alles wird abgedraengt ins Unbewusste, wo
es sein Schattendasein fristet zusammen mit traumatischen
Erlebnissen, die bereits in die fruehe Kindheit datieren.
Wir sind niemals faehig, mehr und etwas anderes zu sehen als
das, was wir gelernt haben.

Tao ist also keine Philosophie, Ideologie, Theorie, Kult oder Mode
sondern der Schritt zu sich selbst und der eigenen inneren Autoritaet.

So ist es, Wu Wei bedeutet, nicht selbst handeln zu wollen,
sondern eben der erwaehnten Autoritaet das Handeln, die
Entscheidung zu ueberlassen. Gekoppelt mit dieser Bereit-
schaft, selber weitgehend die Hand vom Steuer unseres Lebens
zu nehmen, ist die Notwendigkeit, unsere Sinne in immer
groesserem Masse der Gegenwart zuzuwenden.


Was ist mit meiner Sicherheit, wenn ich alle Bindungen aufgebe?

Die Sicherheit, die Sie meinen, ist absolut truegerisch,
sie ist relativ, in Wahrheit existiert sie nur als intellektuelle
oder emotionale Vorstellung, es ist eine Beruhigungspille
mit Dauerwirkung. Wenn das Leben mit ernsthaften Heraus-
forderungen an uns herantritt, das Sicherheitsgefuege rings
um uns zerbricht, dann stehen wir nackt da, wie eine Muschel,
die ihrer schuetzenden Schale beraubt ist.

Der Mensch, dem solches widerfaehrt - und es geschieht weltweit taeg-
lich -, muss dann erkennen, dass er auf Sand gebaut hat.


Ja, das Interessante dabei ist nun, dass er vielleicht eine
bestuerzende Erfahrung macht.

Welche?

Naemlich, dass die Wendung zum Besseren just in jener Phase
eintrat, da er sich, zu erschoepft zum Weiterkaempfen,
total aufgegeben hatte. Dabei hat er nichts anderes erfahren,
als die Hand des Tao, denn dieses tritt in dem Augenblick
maechtig in unserem Leben in Erscheinung, wo wir die Hand
vom Ruder nehmen, wo wir aufgeben. Dann kann diese ungeheure
kosmische Kraft wirksam werden, und zwar mit einer Intelli-
genz, die jenseits des Denkens operiert. Unsere existentiellen
Probleme loesen sich auf eine Art, der eine tiefe Weisheit
zugrunde liegt, wie unser Verstand sie nicht besitzt.







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